Mein Fokusthema: Die anglophone Krise

Wie ich ja im Info-Teil über weltwärts geschrieben habe, ist der weltwärts-Freiwilligendienst ein Lerndienst. Deshalb soll ich mich in Kamerun mit einem entwicklungspolitischen Thema beschäftigen. Diese vertiefte Auseinandersetzung mit einem bestimmten Thema soll mir zurück in Deutschland helfen, mich in die Gesellschaft einzubringen, denn das ist ja die Idee des weltwärts-Freiwilligendienstes. Ich habe die anglophone Krise in Kamerun zu meinem Fokusthema gewählt. Auf dieser Info-Seite möchte ich dazu immer mal wieder Berichte schreiben.

Aufgrund der Kolonisierung ist Kamerun ein bilinguales Land. Ungefähr 4/5 des Staatsgebietes sind frankophon, 1/5 ist anglophon. Offiziell gibt es in Kamerun seit 1961 zwei Amtssprachen, zwei Bildungssysteme und zwei Rechtssysteme. Doch die anglophone Minderheit im Westen Kameruns fühlt sich seit Jahren unterdrückt und benachteiligt. Denn die anglophone Bevölkerung hat das Gefühl, dass ihre Sprache, ihre Kultur und ihre Identität nicht genug wertgeschätzt und berücksichtigt werden. Justiz, Verwaltung und teilweise auch der Schulunterricht würden nur auf Französisch abgewickelt. Außerdem sei die Entwicklung der Infrastruktur in den anglophonen Landesteilen vernachlässigt worden. Deshalb gingen Anwälte und Lehrer im Jahr 2016 auf die Straße und protestierten gegen die Benachteiligung der englischen Sprache durch die Regierung. Dagegen regierte der Staat mit harter Hand –mindestens sechs Menschen starben, dutzende wurden verhaftet und die Regierung verhängte eine dreimonatige Internetblockade. Anschließend legten Streiks den Schulbetrieb lahm und seitdem kommt es im anglophonen Teil wöchentlich zu sogenannten Geisterstadt-Tagen, an denen das Geschäftsleben aus Protest ruht. Paul Biya berief eine Kommission für Bilingualismus und Multikulturalismus ein, doch vielen Anglophonen reichte das nicht aus. Als Unabhängigkeitsbefürworter am 01.10.2017 symbolisch die „Republik Ambazonien“ ausriefen, töteten Sicherheitskräfte mindestens 40 Menschen. Daraufhin radikalisierte sich der Protest: mehrere bewaffnete Widerstandsgruppen wie die „Red Dragons“, „Tigers“ und „Ambazonia Defence Forces“ gründeten sich; der Präsident nannte sie Terroristen und erklärte ihnen den Krieg. Mit Jagdgewehren und Macheten kämpfen die Separatisten-Gruppen seither in den beiden englischsprachigen Regionen Südwest und Nordwest gegen das kamerunische Militär, das zum Teil von amerikanischen und israelischen Spezialeinheiten ausgebildet wurde.

 

Am 01.10.17, genau 56 Jahre, nachdem der jetzige anglophone Teil Kameruns unabhängig geworden war und sich Kamerun anschloss (siehe Info Kamerun), riefen Separatisten in der englischsprachigen Region die „Republik Ambazonien“, die von keinem Land anerkannt wurde, mit einer blau-weißen Staatsflagge aus. Sogar eigene ambazonische Pässe wurden gedruckt und an die Bevölkerung ausgegeben. Sisisku Ayuk ist der „selbsternannte Präsident“. Der Name Ambazonia kommt von der Gegend „Ambas Bay“, die als Grenze zwischen anglophonem und frankophonem Kamerun betrachtet wird. Die Separatisten fordern die Trennung des anglophonen Teils von der Republik Kamerun. Einige wollen einen eigenen Staat, andere favorisieren den Anschluss an Nigeria.

 

Beide Seiten gehen mit großer Brutalität vor und ihnen werden schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen: Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen wurden bis Oktober 2018 schon mehr als 70 Dörfer in Brand gesetzt und im Jahr 2018 wurden schon mehr als 400 ZivilistInnen und fast 200 Polizisten und Militärangehörige getötet. Zum Beispiel wurde ein Priesteranwärter vor seiner Kirche in der Nähe der Stadt Bamenda von Soldaten erschossen. Außerdem werden Menschen entführt, um Lösegelder zu bekommen. Daher fliehen viele EinwohnerInnen aus der anglophonen Region, andere verstecken sich. Nach Angaben der UN sind seit Beginn der bewaffneten Auseinandersetzungen über 430.000 KamerunerInnen geflüchtet (v.a. als Binnenflüchtlinge, aber auch nach Nigeria). Da viele anglophone KamerunerInnen auf der Flucht sind, werden die sehr fruchtbaren Felder in der Region nicht bestellt. Dem Militär wird vorgeworfen, zu plündern. Die „Amba Boys“, wie die Separatisten auch genannt werden, verüben Anschläge auf Schulen, Polizeistationen und Soldaten.

 

BeobachterInnen meinen, dass die Regierung diese Krise hätte verhindern können, wenn sie ganz am Anfang Verständnis für die anglophone Bevölkerung gezeigt hätte, statt mit harter Hand einzugreifen. Denn aufgrund der großen Brutalität hätte sich die Unterstützung für die Separatisten durch die Bevölkerung erhöht. Viele BeobachterInnen denken, dass die Regierung die Krise beenden könnte, indem sie die Benachteiligung der Anglophonen öffentlich eingesteht und anschließend einen Dialog mit den Anglophonen führt. Doch zurzeit lehnt die Regierung Verhandlungen ab.

Am 11.10.2018 debattierte der Deutsche Bundestag über die Situation im zentralafrikanischen Kamerun. Der Antrag der Grünen, der die Bundesregierung dazu auffordert, sich gemeinsam mit europäischen Partnern und auch auf UN-Ebene für eine Befriedung des Konflikts einzusetzen, wurde zur federführenden Beratung an den Auswärtigen Ausschuss überwiesen. Den Antrag der FDP lehnte das Parlament dagegen ab. Die FDP fordert die Bundesregierung dazu aus, für eine friedliche Lösung der Krise zu werben und einen Dialog zwischen beiden Konfliktparteien anzuregen. Außerdem forderte die FDP-Fraktion in ihrem Antrag die Überprüfung der Entwicklungszusammenarbeit und gegebenenfalls die Knüpfung von Konditionen an finanzielle Zusagen.

 

 

Am 05.11.2018 sind 79 Schüler, der Schulleiter, ein Lehrer und ein Fahrer einer weiterführenden, bilingualen Schule der presbyterianischen Kirche in Bamenda in der anglophonen Region Kameruns von bewaffneten Tätern entführt worden. Am 7.11. waren die Schüler wieder frei und unversehrt. Aus Sicherheitsgründen schloss die Kirche ihre Schulen in der Region bis auf weiteres. Es ist unklar, wer für die Massenentführung verantwortlich ist. Mehrere Medien mutmaßen, dass die Separatisten verantwortlich seien. Möglich ist auch, dass die Regierung die Massenentführung inszeniert hat, um die Separatisten als Terroristen zu brandmarken, um noch härter gegen sie vorgehen zu können und um die Unterstützun der anglophonen Kameruner für die Separatisten zu verringern.

Am 26. und 27.01.2019 haben in Yaoundé, Douala, Bafoussam und Mbouda ungenehmigte Demonstrationen der Partei MRC von Maurice Kamto stattgefunden. Der Oppositionsführer Maurice Kamto behauptet, dass es einen Wahlbetrug bei der kamerunischen Präsidentschaftswahl im Oktober 2018 gegeben habe und eigentlich er statt Paul Biya die Wahl gewonnen habe. Außerdem forderten die TeilnehmerInnen das Ende der Gewalt in den beiden anglophonen Gebieten Kameruns und protestierten gegen die Unfähigkeit Kameruns, den Africa Cup 2019 auszurichten. Bei den Demonstrationen hätten Sicherheitskräfte 117 Teilnehmer festgenommen. In Douala sollen mindestens vier Personen bei der gewaltsamen Unterdrückung des Protestes durch Sicherheitskräfte verletzt worden sein. Nach Angaben von Aktivisten wurden die Demonstranten in der Hauptstadt Yaoundé mit Tränengas auseinandergetrieben. Der Sicherheitsminister sprach von sechs Verletzten in Yaoundé.

 

Unterdessen drangen in der Nacht zum 27.01. etwa zehn Personen in die Botschaft der Republik Kamerun in Berlin-Westend ein und stellten politische Forderungen. Dabei kam es auch zu Beschädigungen in dem Gebäude. Die Polizei rückte an und brachte die Menschen aus der Botschaft.

 

Auch in Paris drangen Demonstranten in die kamerunische Botschaft ein. Die rund 50 Personen zerstörten dort unter anderem Porträts vom kamerunischen Präsidenten Paul Biya, bevor die Pariser Polizei sie vertrieb. Die Demonstranten protestierten anschließend vor dem Gebäude weiter.

 

Am Montag, den 28.01. wurde Maurice Kamto zusammen mit anderen Personen in einem Haus einer seiner Unterstützer in Douala von der Polizei festgenommen und anschließend wahrscheinlich nach Yaoundé gebracht. Nach seiner Festnahme umrundeten hunderte kamerunische Personen das Haus. Polizisten schossen in die Menge, um sie zu vertreiben.

 

Hinweis: Da ich nicht weiß, ob es sich hier bei den Separatisten, Unabhänigigkeitsbefürwortern, Polizisten, Soldaten, Sicherheitskräften und Demonstranten auch um Frauen handelt, habe ich ausschließlich in der männlichen Form geschrieben. Bitte korrigiere mich, falls Du es besser weißt!