Es war toll

24.08.19:

 

Seit über fünf Wochen bin ich nun wieder in Deutschland. Die elf Monate meines Freiwilligendienstes in Kamerun sind sehr schnell vergangen und zum Ende hin war ich ziemlich traurig, Kamerun bald verlassen zu müssen. Ich ging dort davon aus, dass ich zurück in Deutschland traurig sein würde. Doch wieder in Berlin merkte ich, dass ich nicht nur in Kamerun glücklich war, sondern es auch hier bin.

 

Zurzeit genieße ich das deutsche Essen. Bei vielen deutschen Gerichten habe ich erst beim Wieder-Essen gemerkt, wie sehr ich sie vermisst habe. In Vollkornbrot (statt Baguette) mit Butter (war in Kamerun aus Frankreich importiert und daher teuer) und Mettwurst könnte ich mich reinsetzen! Gleichzeitig vermisse ich schon jetzt einige kamerunische Gerichte wie gegrillten Fisch mit Kochbananen oder „Beignets haricots“ (frittierte Teigbällchen mit Bohnen).

 

Und so ist das auch mit den Kontakten: ich genieße hier das Beisammensein mit meinen Freund:innen und meiner Familie, aber vermisse auch einige Kameruner:innen. Mit vielen Kameruner:innen habe ich momentan noch WhatsApp-Kontakt, aber das ist etwas anderes, als sich zu treffen. Daher bin ich am Überlegen, ob ich bald zum Besuch nach Kamerun fliege. Lust hätte ich, aber ich muss mir auch Gedanken um Zeit, Geld und Umweltbelastung durchs Fliegen machen. Nach meinem Jahr habe ich zu einigen Themen wie Umweltbelastung, Religionen, globale Gerechtigkeit, Rassismus, Kolonialismus, Verallgemeinerung Afrika oder Konsum klarere Meinungen, da ich mich intensiver mit ihnen beschäftigt habe. Das ist bei Treffen mit Freund:innen hier manchmal komisch, da ich das Gefühl habe, dass diese ihre früheren Meinungen ungefähr beibehalten haben, während ich meine Ansichten teilweise stark weiterentwickelt habe. Als ich meinen Kleiderschrank in Berlin nach meiner Rückkehr geöffnet habe, war ich erstaunt und schockiert, wie viel Kleidung dort im Vergleich zu meinem Kleiderschrank in Douala drin war. Ich konnte mich etwas mit dem Gedanken beruhigen, dass ich in Deutschland mehr Kleidung brauche, da man für die vier Jahreszeiten verschiedene Kleidungsarten braucht. Aber trotzdem wollte ich gerne aussortieren. Es kam aber nicht viel dabei rum, weil es mir einfach schwer fällt, mich von Sachen zu trennen. Denn ich denke immer: „vielleicht brauche ich es ja irgendwann doch nochmal“.

 

Ein weiterer erster Eindruck in Deutschland war, dass es sehr viel mehr Bettler:innen in Deutschland als in Kamerun gibt. In Douala gab es nämlich nur wenige, ziemlich aufdringliche, muslimische Kinder, die in Reichweite ihrer Mütter gebettelt haben.

 

Zudem fand ich es sehr ungewohnt und fast schade, dass ich in Deutschland auf der Straße trotz Rasta kaum Aufmerksamkeit bekommen habe. In Douala blieb ich vor dem Rausgehen meist kurz vor der Tür stehen und bereitete mich darauf vor, auf der Straße von allen möglichen Leute angesprochen zu werden. Typische Sprüche waren „La blanche, la blanche“, „bonjour, ma chérie“, „mon bébé, viens me saluer“, „l’Americaine“, „la Chinoise“, „tu veux me marier ? “, „voilà les bonnes tomates“, „fais-moi des enfants!“, „tu es jolie“, „la blanche porte la robe“, „la blanche mange le pain?! “, „les pauvres blancs“ (= „die Weiße, die Weiße“, „Guten Morgen, mein Schatz“, „mein Baby, begrüß mich“, „die Amerikanerin“, „die Chinesin“, „möchtest du mich heiraten?“, „hier sind gute Tomaten“, „mach mir Kinder!“, „du bist hübsch“, „die Weiße trägt ein Kleid“, „die Weiße isst Baguette?!“, „die armen Weißen“). Je nach Laune entstanden dadurch lustige Gespräche oder ich ignorierte die Sprüche genervt. Manchmal genoss ich die Aufmerksamkeit, die ich nur wegen meiner weißen Hautfarbe bekam, aber manchmal war ich auch einfach froh, wenn ich die Wohnungstür hinter mir geschlossen hatte, nachdem ich in der prallen Sonne und mit mehreren Einkaufstüten in der Hand doof auf der Straße angemacht wurde.

 

Des Weiteren macht es mich sehr glücklich, so viele Menschen verschiedener Nationalitäten in Berlin zu sehen, was ich in Kamerun etwas vermisst habe.

Außerdem genieße ich das Fahren mit den öffentlichen Verkehrsmitteln in Berlin und der Deutschen Bahn. Nach meinen vielen Busfahrten in Kamerun schätze ich die Geschwindigkeit, die WCs in den Zügen und den Komfort viel mehr. Durch das viele Warten in Kamerun bin ich gelassener, was Verspätungen angeht.

 

Generell bin ich entspannter und mich haut so leicht nichts mehr vom Hocker (auch keine Kakerlaken). In Kamerun habe ich mir zum Beispiel angewöhnt, über Probleme statt über ausgedachte Witze zu lachen. Außerdem bin ich in meinem Freiwilligendienstjahr noch religiöser geworden. Das liegt daran, dass ich mich intensiver mit meinem Glauben auseinandergesetzt habe, da die Religion in Kamerun in allen Lebensbereichen präsent ist. Ich habe mich also persönlich weiterentwickelt und besser kennengelernt.

 

Ich glaube, ich bin nun wieder richtig angekommen. Erstens vergesse ich mittlerweile nicht mehr, mich im Auto anzuschnallen. Zweitens bin ich nun öfter wieder pünktlich. Drittens antworte ich nur noch selten aus Reflex auf Französisch oder Englisch. Allerdings ertappe ich mich immer wieder dabei, dass ich französische oder englische Wörter eindeutsche oder Wort für Wort ins Deutsche übersetze. Zum Beispiel denke ich an „I see/ Je vois“ (= ich verstehe) und sage „ich sehe“. Oder ich deutsche „chercher“ (=suchen) ein und sage „ich cherche“, weil mir das französische oder englische Wort manchmal einfach schneller einfällt. Kurz nach meiner Rückkehr habe ich auf „Hallo“ oft mit „Danke“ geantwortet, da man in Kamerun auf „Bonjour“ immer mit „Merci“ antwortet. Zudem habe ich mir das Hetzen auf der Straße (leider) wieder angewöhnt. Man spart so zwar Zeit, aber das langsamere Laufen in Kamerun war entspannter und schöner, da ich mir so die Zeit nehmen konnte, mit oft unbekannten Leuten auf der Straße nette, kleine Gespräche zu führen. Ich fand es sehr angenehm, wie offen und gastfreundlich viele Kameruner:innen auch zu Fremden sind. Ich konnte es oft nicht verstehen, wie manche Personen so großzügig sein konnten, ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Ehrlich gesagt kann ich es immer noch nicht begreifen. Aber weil mich das sehr beeindruckt hat, versuche ich, nicht alles abzurechnen, sondern auch mal aus Liebe oder Freundschaft großzügig zu sein. Und ich versuche, noch offener, toleranter und freundlicher zu anderen Personen zu sein.

 

Ich bin sehr dankbar für die Erfahrungen, die ich Kamerun gemacht habe. Ich werde dieses Jahr nie vergessen und freue mich immer, interessierten Personen von meinen Erlebnissen erzählen zu dürfen.

 

Ein Nachtrag (vom 15.03.2021): Gerade habe ich die Namen meiner Mentor:innen durch Kürzel wie Mme S., Ms E. usw. aus Datenschutzgründen ersetzt. (Falls Dir auffällt, dass ich dabei etwas übersehen habe, dann schreibe mir gerne über das Kontaktformular!) Dabei ist mir aufgefallen, wie viel ich auf diesem Blog übers Essen geschrieben habe, obwohl das hier gar kein food-blog sein sollte. Und habe mich darüber ziemlich amüsiert. Naja, eigentlich wollte ich nur kurz anmerken, dass es für mich nun etwas befremdlich ist, zu lesen, wie viel Fleisch und v.a. Fisch ich in Kamerun gegessen habe, da ich mich mittlerweile vegan ernähre. Und auch sonst hat sich so einiges geändert, z.B. bin ich schon lange nicht mehr die Straße entlang gehetzt. Und wahrscheinlich hat sich auch bei Dir im letzten Jahr so einiges geändert, und einiges davon bestimmt auch zum Guten (das könnte z.B. sein: Du hast dir mehr Zeit für die Personen genommen, die dir wirklich wichtig sind oder Du hast dich intensiver mit dem "Thema" Rassismus auseinandergesetzt oder Du hast gelernt, Deine Privilegien mehr wertzuschätzen) - dem Corona-Lockdown sei  dafür Dank.


Typisch afrikanisch?!

12.08.19:

 

 

Seit vier Wochen bin ich nun schon wieder zurück in Deutschland. Ich bin sehr glücklich, meine Freund:innen und Verwandten nach elf Monaten endlich wiederzusehen, doch vermisse einige kamerunische Gerichte und viele Kameruner:innen schon jetzt. Aber immerhin habe ich die aktuellen kamerunischen Süd-Nord-Freiwilligen schon zweimal in Berlin besucht und werde hoffentlich noch viel mit ihnen unternehmen. Diese habe ich beim Orientierungs- und Auswahlseminar für Süd-Nord-Freiwillige von Brot für die Welt im März 2019 in Douala kennengelernt.

 

Es sind nicht alle Teilnehmer des Seminares auf diesem Foto, aber mir geht es jetzt auch um etwas anderes, nämlich um das Thema Kleidung. Fünf Personen auf dem Foto tragen „westliche Kleidung“, die teilweise in Kamerun geschneidert wurde, z.B. das rosa Hemd von Moritz (ganz rechts). Die anderen vier Personen tragen in Kamerun geschneiderte Kleidungsstücke aus „afrikanischen Stoffen“, z.B. Annika mit dem schwarz-lila-gelben Kleid (in der Mitte). Auch ich habe mir in Kamerun Kleidung aus diesen angeblich „typisch afrikanischen, farbenfrohen Stoffen“ schneidern lassen, die ihr in Deutschland immer wieder an mir bewundern dürft. 😉 Die sogenannten „Waxstoffe“ sind in vielen Teilen Westafrikas und anderen Teilen des afrikanischen Kontinents allgegenwärtig und ein Symbol für Afrika geworden. Allerdings kommen diese gemusterten Stoffe mit den intensiven Farben ursprünglich nicht aus Afrika, sondern aus Holland. Und die Stoffe, die man in Kamerun kaufen kann, sind vor allem Importware. Im späten 16. Jahrhundert brachten die Holländer die javanesische Batik nach Europa. Eigentlich wollten sie die gemusterten Batikstoffe industriell herstellen, um sie in der damaligen Kolonie Java zu vermarkten. Doch dieser Versuch scheiterte, da die Indonesier ihre eigene traditionelle Handarbeit dem Massenprodukt vorzogen. Daher begannen holländische Produzenten um 1880, „Waxstoffe“ mit eigenen Designs und einer speziellen Ausrüstung industriell herzustellen und verkauften die Stoffe in ihren Kolonien in Westafrika. Heutzutage produziert die niederländische Firma Vlisco jedes Jahr 70 Millionen Yards Stoff in den Niederlanden und bringt 90 Prozent davon in Afrika in Umlauf. Vlisco produziert auch an der Elfenbeinküste und in Ghana „Waxstoffe“. Außerdem gibt es Produzenten in Manchester und China. Allerdings sind viele in China produzierte Stoffe Fancystoffe, also billige industriell hergestellte Nachahmungen der „Waxstoffe“. Sie werden für den Massengebrauch produziert und werden nur auf einer Seite bedruckt. Die echten „Waxstoffe“ besitzen hingegen eine gleiche Farbintensität auf der Vorder- und Rückseite, da der Baumwollstoff mit einer Reservefärbetechnik gefärbt wird. Dabei wird das Reservematerial (Wachs, Harz oder Stärke) auf den Stoff aufgetragen, sodass diese Stoffteile im Farbbad geschützt werden und das aufgetragene Muster nach dem Entfernen des Reservematerials heller erscheint. Da die wirklich afrikanischen Stoffe wie „kente“ aus Ghana oder „le ndop bamiléké“ aus Kamerun schwer in Serie zu produzieren sind, dominieren die holländischen „Waxstoffe“ auf vielen Märkten in Westafrika.